Kolumne

Ein Talkshowtag

Es ist halb zwei und die Talkshows auf Sat.1 passen vom Niveau her zu meiner anhaltenden Müdigkeit. In Pyjama und Morgenmantel, was in den letzten Wochen zur Standartkleidung mutiert ist, verfolge ich gähnend die Mattscheibe.

Britt ist gerade damit beschäftigt den genetischen Erzeuger der kleinen Joanna ausfindig zu machen. Vier potenzielle Schrumpfköpfe haben sich dem Vaterschaftstest ausgeliefert, während das Mütterchen wie eine Furie agiert. Sehr spannend, wie die Moderatorin in dem topaktuellen Chinaoberteil, nach und nach einen Umschlag aus dem Mantel zaubert. Traurig, daß es hierbei anstelle des Zonk eine echte Verantwortung für ein unschuldiges Lebewesen zu gewinnen gibt. Der Nebel verdichtet sich, nachdem herauskommt, daß keiner der anwesenden der Vater ist. Nun dämmert es der gekalbten Kuh:“ Ähhhhh, das kann dann nur der One-Night-Stand gewesen sein…“ Gelächter im Publikum und in deutschen Wohnzimmern, ich werde wieder wach. Natürlich hat sie keinen Namen und keine Adresse von dem armen Teufel, der jenen Tag wohl mehr als alles andere in seinem Leben bereuen wird. Sie suhlt sich weiterhin in der Aufmerksamkeit und überrascht die Zuschauer mit immer neuen hoffnungslos dämmlich-klingenden Kommentaren.

Manche Menschen können es einfach nicht begreifen – es ist nicht toll, ausgelacht zu werden. Ganz und gar nicht, das lernt man doch schon als Kind, wo Mädchen in Freundschaften und Jungs in Kämpfen fertig gemacht werden, sobald sie anders sind.

Bei Frau Kallwass spielt sich derzeit eine sehr tragische Geschichte ab. Ein junges Mädchen ist in der U-bahn nachts sexuell belästigt worden. Zu ihrem Glück konnte sie einer echten Vergewaltigung entkommen. Sie bedrückt aber nach wie vor die unterlassene Hilfeleistung eines damaligen Zeugen, der das Verbrechen die ganze Zeit über beobachte hatte. Uwe hingegen behauptet, er hätte zuviel Angst gehabt, um zu handeln. Deswegen macht er sich ständig Vorwürfe und kann kaum noch schlafen. Um den Kontakt zu ihr herzustellen, war er sogar bereit sich selbst anzuzeigen. Momentan befindet sich eine Trennwand zwischen den beiden, da Svenja zu wütend ist, um dem Feigling gegenüber zu treten. Zur Abreaktion stellt Frau Kallwass einen Riesenwürfelkissen vor sie hin und diese nutzt sofort die Gelegenheit, um wie wild darauf einzudreschen. Mir geht diese Geschichte sehr nah, denn mangelnde Zivilcourage ist ein Brennpunkt unserer Zeit.

Eine mitleidige Träne rinnt über meine Wange, sowohl für den armen Teufel, der nun wie der letzte Versager dasteht, als auch für die Halbvergewaltigte, die den DoppelSchock überwinden muß. Ich mache es Svenja nach und schlage auf meine Bettmatratze ein. Wenn einem die Worte versagen, greift man zu sehr primitiven Methoden zurück. Und in der Tat wirkt es. Mittlerweile ist die Trennwand zwischen Uwe und ihr entfernt worden und die beiden stehen sich zum ersten Mal seit dem damaligen Unglücksfall gegenüber. Es scheint, als ob sie sich verzeihen können. Happy End um drei.

09.01.04

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Klaudija Paunovic

Hier schreibe ich mit Herzblut über alle Themen, die mich interessieren. Schon als Jugendliche schrieb ich für die Schülerzeitung. Es folgte die freie Mitarbeit bei Tageszeitungen wie Express und Rheinische Post. Und auch heute noch fröhne ich meiner Schreibleidenschaft auf diesem Blog. Wenn du mehr über mich erfahren möchtest, gibt es hier noch mehr Infos: »Mehr über mich«

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