Blogger-Cocktail im Hotel Indigo mit Annette Görtz:“Man muss seine Mode vorleben.“
Kaum zu glauben, aber wahr. Anstatt ihre Mode auf der alljährlichen Platform Fashion vorzuführen, entschied sich Annette Görtz für den Blogger-Cocktail im Hotel Indigo: „Beides hätte ich von der Zeit her nicht geschafft. Ich hatte nicht einmal Zeit mich hierfür vorzubereiten. “
40 Mitarbeiter in Gütersloh, 500 Stores weltweit, die ihre Marke führen und allein in der Ukraine einen sieben-stelligen Umsatz: Die Ostwestfalenerin hat binnen dreißig Jahren zusammen mit Mann Hans-Jörg Welsch ein Mode-Imperium geschaffen, was sie zu einer der ganz großen Fashiondesigner in Deutschland macht.
Vergangenen Donnerstag gab die Avantgardistin, der jegliche Starallüren fremd sind, bereitwillig einem Dutzend BloggerInnen Einblicke in ihr Leben und Werken. Puristische Linien, originelle Details und dazu ein Stoff, aus dem Modeschöpfer-Träume sind – so ließe sich ihre neue Spring/Summer 2018 Kollektion in wenigen Worten beschreiben.
„Gerne suche ich mir auch Stoffe aus, die so schwierig zu verarbeiten sind, dass es ein richtiger Kampf ist, etwas draus zu machen. Aber wenn man es dann geschafft hat, kann man sich darüber schon abheben von anderen Kollektionen, was wir müssen, weil die Marke ist teuer. “ Dabei zeigt sie auf ein Fransenjäkchen, dessen Material dem Militärbereich entstammt und pro Meter 70 Euro kostet. Aber auch Reflektor-Elemente, Anti-Cellulite-Gewebe und Seiden-Camouflage kommen bei ihrer 240-teiligen Sommerkollektion zum Einsatz.
Einige besonders sportliche Teile tragen zudem den Aufdruck „Huckepack“ – eine Widmung an den gleichnamigen Berliner Verein, der sich für die Integration von Flüchtlingskindern und -jugendlichen auf ganz praktische Weise einsetzt, indem er diesen einen deutschen Partner im selben Alter zur Seite stellt, mit dem man gemeinsam etwas unternimmt.
„Wir und viele andere spenden Geld, damit sie zusammen Eis essen, Schlittschuh laufen, ins Kino gehen oder was auch immer ansteht, machen können. Wir glauben, dass sie durch diese Aktion besser die Sprache erlernen und daraus Freundschaften entstehen. Und weil wir das Thema so klasse fanden, haben wir dazu einen Teil der Kollektion gemacht. Denn Huckepack ist zunächst einmal eine sportliche Leistung, weswegen die Sachen auch sehr sportlich ausgefallen sind.“
Made in Asia kommt für die Liebhaberin exklusiver Materialien nicht in Frage, „weil da unter anderem auch Zertifikate getürkt werden“. Respekt vor der Natur und den Menschen steht bei ihr an erster Stelle. Deswegen lässt sie im Gegensatz zu vielen anderen den Großteil in Deutschland herstellen. Daneben hat sie einen Partner in der Türkei, mit dem sie sehr zufrieden ist: „Für uns ist das ein ganz wichtiger Partner, weil sie sehr kreativ sind und man auch nie ‚Das kann ich nicht‘ hört, sondern ‚Das kriegen wir schon hin‘.“
Doch auch die anstrengende Seite der Modeindustrie enthält sie den gespannten Zuhörerinnen nicht vor. „Innerhalb kürzester Zeit müssen 2400 Teile fertig werden und das zu dieser normalen Produktion, weil jetzt wird parallel Winter produziert. Das ist immer ein Kraftakt. So toll die Mode ist und soviel Spaß, wie das ganze macht, man braucht ganz viel Leidenschaft, um das Ganze über Jahre durchzuhalten.“ Außerdem empfiehlt sie jedem mal Backstage von einer Modenshow zu berichten, um den „Unterschied zwischen Realität und Show“ zu verstehen.
Wie Annette Görtz zur Mode kam
Bereits im zarten Alter von sechs Jahren setzte sich die kleine Annette zum ersten Mal an die Nähmaschine. „Ich stellte damals eine Kiste auf das Pedal, um mit dem Fuß dran zu kommen.“ Ab dem Moment ließ sie die Leidenschaft für Mode nicht mehr los.
„Ich hatte mir einen goldenen Cordanzug genäht und bin damit auch zur Schule gegangen“ , erinnert sie sich zurück. „Das fanden nicht immer alle toll, aber das darf einen nicht abhalten. Wenn man auf zuviele Meinungen hört, kriegt man nicht seinen eigenen Stil.“ Angesprochen auf ihre gräßlichsten Modesünden, antwortet sie souverän: „Je ne regrette rien. Jeder Fehler ist gut, weil man ihn dann beim nächsten Mal nicht macht.“
Mit gerade einmal 25 Jahren gründete die studierte Modedesignerin ihre eigene Marke: „Ich konnte mich nie verstellen. Deswegen habe ich mich direkt selbstständig gemacht.“ Unterstützung bekam sie von Anfang an von ihrem Mann Hans-Jörg, den sie seit der Studienzeit kennt. Der Diplom-Kaufmann kümmert sich bis heute um die Vermarktung und den Papierkram, während Annette alle Hände frei hat, um sich ganz auf ihre Kreativität zu besinnen.
Wie schafft man drei Jahrzehnte lang Liebe und Arbeit so erfolgreich unter einen Hut zu bringen? „Wir arbeiten in getrennten Büros„, schmunzelt sie. Besonders stolz ist Annette auf Sohn Maximilian Welsch, der erst letzten Monat sein Studium an der renommierten „Königlichen Akademie der schönen Künste“ in Antwerpen abgeschlossen hat.
Neben der Inspiration durch hochwertige Stoffe, lässt sich die 58-Jährige von Leuten auf der Straße beflügeln. „Ich finde sie inspirierender als Stars auf der Oscarverleihung, die sich ihr Kleid nicht einmal selbst aussuchen können.“ Jungdesignern rät sie: „Man muss seine Mode vorleben.“
Zuletzt weist die Ostwestfalenerin die BloggerInnen auf ihre moralische Vorbildfunktion hin. „Es ist sinnvoller weniger Sachen zu zeigen, bei denen Qualität und Arbeitsbedingungen stimmen, auch wenn man etwas länger dafür gespart hat, als viele preiswerte Teile, die nur auf den ersten Blick schön anzusehen sind.“
Nützliche Quellen zu Annette Görtz