Sag mir, wo die (Wiesen-)Blumen sind! Vom Wiesenmähen und Insektensterben
Hätte Pete Seeger vor drei Wochen einen Spaziergang am Rhein entlang gemacht, wäre ihm vermutlich sofort sein eigener Song „Where have all the flowers gone“ (zu deutsch: Sag mir wo die Blumen sind“) in den Sinn gekommen. Denn von einem Tag auf den anderen fehlten plötzlich Abertausende von Wildblumen, die zuvor noch Bienchenen, Hummeln, Libellen, Schmetterlingen und co. als notwendige Nahrungsquelle dienten.
Dabei gab es bereits Ende Mai erste Anzeichen dafür, dass hier Schlimmeres folgen könnte. Auf einem meiner Spaziergänge entlang der „Augenweiden“ stellte ich fest, dass man jeweils einen Meter rechts und links vom Pfad entlang gemäht hatte. Und das, obwohl es sich hierbei um reine Fuß- und Radwege handelt, so dass weder Straßenschilder noch Leitpfosten aus Sicherheitsgründen vom Wiesenkraut hätten „befreit“ werden müssen.
Mein Live-Video vom 22. Mai 2017 auf facebook
Ironischerweise weist ein Landschaftsschutzschild am Eingang darauf hin, dass hier ein „Rückzugsgebiet seltener Tiere und Pflanzen“ ist und somit das Pflücken und Beschädigen von Pflanzen verboten ist.
Nur zwei Wochen später fehlt dann auch vom Rest des Wildblumenparadieses jede Spur. Auf der gesamten rund sechs kilometerlangen Deichstrecke von Büderich bis Düsseldorf erblicke ich den englischen Ziergarten. Ob und wie weit der Rasenmähermann ebenso andernorts fleißig gewesen ist, kann ich nicht aus erster Hand bezeugen. Insofern werde ich mich in meinem Artikel auf diese Flächen beschränken.
80% weniger Bienen und dramatischer Rückgang von Grünland in NRW
Laut einer aktuellen Studie des Entomologischen Vereins in Krefeld und des NABU ist seit 1995 ein Rückgang der Insektenpopulationen in Höhe von bis zu 80 Prozent zu beklagen. Höchste Zeit sich mit Pflanzenschutzmitteln, Chemikalien und anderen Einflüssen zu beschäftigen. Während bereits zahlreiche renommierte Forschungsinstitute einen Zusammenhang zwischen Pestiziden und Bienensterben nachweisen konnten (mehr Infos im Artikel: Bienensterben? Das betrifft uns alle!), scheint sich dem stetigen Schrumpfen des Nahrungsangebotes kaum einer anzunehmen.
Einer im Mai veröffentlichten Untersuchung, die im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen durchgeführt wurde, spielen ebenso die Erhöhung der Mahdfrequenz sowie die vermehrte Umwandlung von Grünland in Ackerland eine große Rolle.
Mit rund 93% hat das intensiv gedüngte und besonders artenarme Fettgrünland den höchsten Anteil am Grünland in Nordrhein-Westfalen.
Aus der Studie der Grünen vom Mai 2017.
Doch was war zuerst da: Weniger Bienen, die bestäubten oder weniger Wildblumen, die bestäubt werden konnten?
Naturschützer Wolf Meyer-Ricks vom Meerbuscher Naturschutzbund sieht an dieser Stelle jedenfalls keinen Zusammenhang. Gegenüber der Rheinischen Post, die sich im Bürgermonitor Meerbusch meinem Thema angenommen hatte, erklärte er: „Die Tiere haben sich darauf eingestellt“.
Klara Liebisch, die sich der Fürsorge für Wildtiere in Meerbusch widmet, ergänzt: „Für Säugetiere wie Hase, Kaninchen und Vögel mag das zutreffen, aber sicher nicht für Insekten.“ Die engagierte Tierschützerin hat in diesem Jahr zum ersten Mal beobachtet, dass alle Drei Dutzend Rauchschwalbenpaare auf einem ehemaligen Bauernhof ihre Küken aus dem Nest geworfen haben. „Es fehlte offensichtlich an Insekten, um ihre Jungen zu versorgen.“
Des Weiteren macht sie auf eine vorherrschende Wasserknappheit aufmerksam: „Ich finde immer wieder Tiere, die bei dem guten Wetter dehydriert sind“. Wer helfen möchte, sollte ein Schälchen mit Wasser vor dem Fenster aufstellen. „Am besten einen Stein dazu legen, damit sich reinplumpsende Insekten wieder rausretten können“.
Stadt Meerbusch rettet 13 Hektar Wildblumenwiesen
Die Stadt Meerbusch hat die Notwendigkeit zur Erhaltung der Wiesenblumen bereits erkannt. Bis 2020 sollen nach dem 2014 durch den Bau- und Umweltausschuss beschlossenem Konzept zur Anreicherung der Artenvielfalt ca. 13 Hektar Wildwiesen – umgerechnet knapp 29 Fussballfelder – in Lank, Strümp und Osterath entstehen.
Björn Kerkmann von der Stadt Meerbusch erläutert den Plan: „Im Frühjahr 2015 wurden 3 Flächen in Büderich und Strümp (insgesamt 8.400 qm) als ‚Probelauf‘ angelegt. Gleichzeitig wurde ein Konzept für die Anlage von Wildblumenwiesen bis 2020 erstellt. In 2016 sind 23.000 qm auf 3 Flächen in Lank und 2017 7.000 qm auf 2 Flächen in Lank und Strümp angelegt worden.“
Kein Deichschutz ohne Wiesenmahd?
Doch bleibt immer noch die Frage zu klären, warum die schöne Rheinwiese überhaupt gemäht wird. Ulrich Schmitz von der Unteren Landschaftsbehörde im Amt für Umweltschutz des Rhein-Kreis Neuss gibt hierzu ebenfalls der RP Auskunft: „Die Deiche müssen regelmäßig gemäht werden, weil wir feststellen müssen, ob Tiere Löcher gegraben haben.“ Und außerdem würde dadurch der optische Wiesencharakter erhalten bleiben, da diese sonst mit Sträuchern und Büschen zuwachsen würde.
Aber lässt sich Insekten-, Wiesen- und Deichschutz nicht miteinander kombinieren? Zur Zeit wird die Mahd vom zuständigen Deichverband zwei Mal im Jahr (ca. Mitte Juni und Mitte August) vorgenommen. „Der erste Schnitt ist dann fällig, wenn bestimmte Blumen verblüht sind, also der Großteil der Pflanzen Samen gebildet hat. Das anfallende Schnittgut wird zwei bis drei Tage auf der Fläche getrocknet, damit die Samen herausfallen und sich die Wiesen wieder bestmöglich entwickeln können.“, erläutert Kerkmann die übliche Vorgehensweise.
Leider kann ich trotz regelmäßiger Spaziergänge (rund drei Mal die Woche) nicht bestätigen, jemals vertrocknetes Schnittgut auf den Wiesen gesehen zu haben. Vielleicht habe ich einfach nur den Zeitpunkt knapp verpasst?!
Die Lösung: Schachbrett-Mahd der Rheinwiese?
Eine Lösung, die alle zufrieden stellen könnte, wäre ein schachbrettartiger Mähvorgang. Das würde zwar die Anzahl der Schnitt-Vorgänge verdoppeln, böte aber Insekten ausreichend Nahrung in unmittelbarer Nähe.
„Das Schachbrett-Modell ist für uns kein Thema. Es kann nur ein Thema werden, wenn die Gremien des Deichverbandes darüber entscheiden.“, erhalte ich vom Verbandsgeschäftsführer Franz Jürgens als Antwort. Ferner erklärt er: „Die Auftragsvergabe zur Mahd erfolgt nach öffentlicher Ausschreibung in einer einmaligen Aktion für die gesamte Fläche.“ Sprich: Der Günstigste erhält am ehesten den Zuschlag.
„Verantwortlich und Kostenträger der Deichunterhaltung sind in NRW die Hochwasserschutzpflichtigen (i.d.R. Deichverbände und Kommunen). Inwieweit ein modifiziertes Mähverfahren zur Anwendung kommen kann, ist dort zu entscheiden und mit der zuständigen Aufsichtsbehörde abzustimmen.„, erfahre ich von Tanja Albrecht aus dem NRW-Umweltministerium. Hoffnung auf finanzielle Unterstützung durch die Landesregierung ist somit ausgeschlossen.
Generell scheint man sich dort dem Thema Insektensterben gerade erst anzunehmen: „Welche Ursachen für den Rückgang der Insekten konkret verantwortlich sind, ist noch nicht ganz klar. […] Um den Rückgang besser beurteilen zu können, hat das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW im vergangenen Jahr im Auftrag des Umweltministeriums NRW einen Auftrag an den Entomologischen Verein Krefeld e.V. (EVK) zur Erarbeitung einer „Machbarkeitsstudie Fluginsekten-Monitoring“ erteilt. Mit dieser Studie wurde die Grundlage für ein systematisches Monitoring des Insektenrückgangs in Nordrhein-Westfalen geschaffen. “
Weiter ist man immerhin schon beim Schutz der Weg- und Feldraine. Erst diesen Monat hat das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW einen Praxisleitfaden an Kommunen, Kreise, Landwirte und co. herausgegeben. „Wegraine sollen wieder zu Lebensadern unserer Agrarlandschaften werden, als artenreicher Lebensraum für Tiere und Pflanzen und als attraktive „Natur vor der Haustür“ für die Menschen. „, erklärt Albrecht die Zielsetzung des Leitfadens.
Auf die wichtige Frage „Wie kann man die Bäuerinnen und Bauern mit an Bord holen, die einerseits möglichst kostengünstig für die Verbraucher und Verbraucherinnen und dennoch umweltfreundlich gegenüber der Natur produzieren sollen?“ erhalte ich vom Umweltbundesamt ebenfalls ausführlich Antwort: „Die Förderung von Agrarumweltmaßnahmen, einschließlich des Vertragsnaturschutzes und des Öko-Landbaus tragen in nicht unerheblichen Umfang dazu bei, den Anteil von Flächen ohne Pflanzenschutzmitteleinsatz und von Nahrungsflächen für Bienen und anderen Insekten zu erhöhen. „
So erhielten allein 2016 mehr als 7.700 Betriebe eine Förderung für die Umsetzung von Agrarumweltmaßnahmen auf ca. 137.500 Hektar landwirtschaftlicher Flächen von der Landesregierung.
Trage selbst zur Insektenrettung bei
Was wird die „Machbarkeitsstudie Fluginsekten-Monitoring“ zutage fördern? Welche neuen Leitfäden und Gesetze wird man daraus ableiten? Und gibt es bis dahin überhaupt noch Insekten, die man „retten“ kann? Wer nicht so lange warten will, kann mit ein paar wenigen Maßnahmen schon jetzt aktiv zu deren Schutz beitragen.
So sollte jeder, der einen Garten hat, weder Pestizide verwenden, noch toxische oder exotische Pflanzen anbauen, mit denen unsere Insekten nichts anfangen können.
Auf einen englischen Rasen braucht keiner zu verzichten, es reicht vollkommen aus ein paar Quadratmeter Stelle ungemäht zu lassen, damit sich dort die Flora und Fauna wieder ausbreiten kann.
Daneben gibt es die Möglichkeit ein Insektenhaus aufzustellen, dass diesen zur Nist- und Überwinterunterungshilfe dient und z.B. bei Amazon ab bereits 15Euro erhältlich ist.
Nützliche Quellen zu diesem Artikel
- Dramatischer Rückgang von Wildblumen
- Studie zum Insektensterben in Deutschland – Umweltminister Stefan Wenzel will mit Experten beraten – Bis zu 80 Prozent Verluste bei Bienen, Faltern und anderen Insekten
- Metastudie (Literaturauswertung) zum Rückgang der Schmetterlinge (Tagfalter) in Deutschland (speziell Nordrhein-Westfalen)